22 April, 2009

Michel Foucault: Macht als Beziehungen der Gouvernementalität

"Als ich begann, mich explizit für die Macht zu interessieren, geschah das keineswegs, um aus der Macht so etwas wie eine Substanz oder wie ein mehr oder weniger unheilvolles Fluidum zu machen, das sich im Gesellschaftskörper ausbreiten würde, mitsamt der Frage, ob es von oben oder von unten kommt. Ich habe einfach nur mit einer allgemeinen Frage ansetzen wollen: 'Was sind Machtbeziehungen?' Die Macht, das sind im wesentlichen Beziehungen, das heißt das, was es macht, dass die Individuen, die menschlichen Wesen untereinander in Beziehung sind, nicht einfach nur in der Form der Kommunikation eines Sinns, nicht einfach nur in der Form des Begehrens, sondern gleichermaßen in einer anderen Form, die es ihnen erlaubt, aufeinander einzuwirken und, wenn Sie so möchten, indem ich diesem Wort einen sehr weiten Sinn gebe, einander zu 'regieren' [gouverner]. Die Eltern regieren die Kinder, die Mätresse regiert ihren Liebhaber, der Lehrer regiert, usw. Man regiert einander in einer Konversation mittels einer ganzen Reihe von Taktiken. Ich glaube, dass dieses Feld von Beziehungen sehr wichtig ist, und genau das habe ich als Problem aufwerfen wollen. [...]
Ich habe eines Tages die Formulierung 'Die Macht kommt von unten' gebraucht. Ich habe das sofort erklärt, aber selbstversändlich kommt dabei heraus: 'Die Macht ist eine hässliche Krankheit, man darf nicht glauben, dass sie einen am Kopf erwischt, sondern sie arbeitet sich in Wirklichkeit von den Fußsohlen her nach oben.' Das ist offensichtlich nicht das, was ich sagen wollte. Ich habe mich an anderer Stelle bereits dazu erklärt, aber ich komme auf die Erklärung zurück. Wenn man nämlich die Frage der Macht in einer Terminologie von Machtbeziehungen stellt, wenn man also einräumt, dass es zwischen den Individuen Beziehungen der 'Gouvernementalität', eine Menge, ein sehr komplexes Netz von Beziehungen gibt, dann sind die großen Formen der Macht im strengen Sinne des Ausdrucks - politische Macht, ideologische Macht usw. - notwendig in dieser Art Beziehungen, das heißt den Beziehungen des Regierens und des Führens, die sich zwischen den Menschen herstellen können. Und wenn es nicht eine gewisse Art Beziehung wie diese gibt, dann kann es auch nicht bestimmte weitere Arten großer politischer Strukturierungen geben."
[Michel Foucault: Der Intellektuelle und die Mächte]

Michel Foucault: Geschichte der Gouvernementalität

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