25 Januar, 2009

Die Genealogie und die Suche nach dem Ursprung

„1. Die Genealogie ist grau. Gewissenhaft und geduldig sichtet sie Dokumente, arbeitet an verwischen, zerkratzten, mehrmals überschriebenen Pergamenten.“

Mit diesen Worten beginnt Focault 1971 den Text, in dem er vielleicht am konzentriertesten über die Genealogie schreibt: Nietzsche, die Genealogie, die Historie. Und für alle, die immer noch fragen, warum sie immer nur ihren Ausgangspunkt finden, wenn sie nach dem Ursprung suchen:

„Weil es bei solch einer Suche in erster Linie darum geht, das Wesen der Sache zu erfassen, ihre reinste Möglichkeit, ihre in sich gekehrte Identität, ihre unveränderliche, allem Äußerlichen, Zufälligen, Späteren vorausgehende Form. Wer solch einen Ursprung sucht, der will finden, 'was bereits war', das 'Eigentliche' eines mit sich selbst übereinstimmenden Bildes; er hält alle Wechselfälle, Listen und Verkleidungen für bloße Zufälle und will alle Masken lüften, um die eigentliche Identität zu enthüllen. Aber was erfährt der Genealoge, wenn er aufmerksam auf die Geschichte hört statt der Metaphysik zu glauben? Dass es hinter den Dingen `etwas ganz anderes' gibt: nicht deren geheimes, zeitloses Wesen, sondern das Geheimnis, dass sie gar kein Wesen haben oder dass ihr Wesen Stück für Stück aus Figuren konstruiert wurde, die ihnen fremd waren. Wie die Vernunft entstanden ist? Natürlich auf ganz und gar 'vernünftige' Weise, nämlich durch einen Zufall. Die Hingabe an die Wahrheit und die Strenge der wissenschaftlichen Methoden? Aus den Leidenschaften der Wissenschaftler, aus ihrem wechselseitigem Hass, aus fanatischen, ständig wiederholten Debatten, aus dem Willen zum Sieg - Waffen, die im Verlauf langer persönlicher Kämpfe langsam geschmiedet wurden. Und die Freiheit? Ist sie das fundamentale Moment, das den Menschen an Sein und Wahrheit bindet? Nein, sie ist nur eine 'Erfindung von Ständen'. Am geschichtlichen Anfang der Dinge stößt man nicht auf die noch unversehrte Identität ihres Ursprungs, sondern auf Unstimmigkeit und Unterschiedlichkeit.“
[Michel Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie, Dits et Ecrits II]

Foucault: Nietzsche, die Genealogie, die Historie

16 Januar, 2009

Michel Foucault: Die Heterotopien / Der utopische Körper

Michel Foucault: Der utopische Körper / Die Heterotopien. Zwei Radiovorträge. Die Heterotopien und Der utopische Körper sind zwei kurze Radiovorträge Michel Foucaults, die 1966 im Rahmen der Sendung Culture française ausgestrahlt wurden. Der Suhrkamp Verlag hat die beiden Texte 2005 in einer kleinen zweisprachigen Ausgabe aufgelegt. Und für alle, die sich nicht die Mühe machen wollen zu lesen, hat der Verlag eine CD mit den beiden Vorträgen im Orginalton beigelegt. (Nicht dass es Mühe machen würde, diese beiden kurzen Texte zu lesen,). Da das gesprochene Worte nicht bis ins letzte verschriftlicht werden kann, ist das Zuhören eine aufschlussreiche Abwechslung. Wobei es durch mangelnde Sprachkenntnisse durchaus erschwert werden kann. Der Text Raum zum Hören von Daniel Defert widerum ist uneingeschränkt lesenswert.

12 Januar, 2009

Genealogie bei Darwin und Foucault

„Darwin zeigt nicht nur, dass die Natur selbst historisch ist, sondern entwickelt auch eine Methode der Erforschung der Geschichte, die er »genealogisch« nennt, und Foucault folgt ihm darin. [...] Darwin sagt von sich selbst, er sei Genealoge. Er will Herkunft rekonstruieren, aber natürlich, ohne auf »Wappenbücher und Stammbäume«, wie er sagt, zurückgreifen zu können. Deshalb interessiert er sich für Rudimente am Körper, für Spuren der Erinnerung an frühere Formen des Lebens. Bei dieser genealogischen Rekonstruktion zeigt sich, dass es, zum Beispiel, keinen »ursprünglichen« Löwen geben kann. Es gibt nie ein ursprüngliches Wesen, nichts Eigentliches, keine Identität, nur Zerstreuung. Natur ist unendliche Vielfalt und allgegenwärtige Abhängigkeit. Und so geht auch Michel Foucault vor: Er rekonstruiert Herkunftsgeschichte und löst dabei auf, was identisch und »wesenhaft« erscheint. Genealogie ist eine Methode, die Kräfteverhältnisse entdeckt. Sie stößt dabei immer auf Konflikte, nicht auf Harmonie. Doch im Gegensatz zur Hegelschen Geschichtsauffassung, die ja auch von Konflikten ausgeht, hat diese Geschichte kein Ziel, gibt es keine dialektischen Synthesen – und keinen Geist.“ [Philipp Sarasin in der Zeit, 8.01.2009]

Das komplette ZEIT-Interview mit Philipp Sarasin über Darwin vom 8.01.2009
Nichts bleibt je, wie es ist

Der Historiker Philipp Sarasin hat auch ein Buch über Darwin und Foucault geschrieben, das demnächst erscheint: Darwin und Foucault: Genealogie und Geschichte im Zeitalter der Biologie
Als Vorgeschmack gibts eine planlose Katze, weil ohnehin nichts bleibt wie es ist und am Mittwoch, 14. Januar 2009 in München (LMU, Hgb, HS M218) einen Vortrag über unreine Anfänge im Rahmen der Vorlesungsreihe Anfang und Evolution.

taz-Artikel: Die Katze ohne Plan vom 17.12.2008