Rezensiert von Zara Pfeiffer
„Je offener das Spiel ist, desto verlockender und faszinierender ist es.“ (Michel Foucault)
Die Frage nach der Identität und Sexualität Michel Foucaults ist ebenso faszinierend wie voyeuristisch. Spiegelt sich das theoretische Spiel der Kräfteverhältnisse seiner Machtanalyse in den konkreten Machtspielen der SM Clubs von San Francisco? Zweifellos ist die Theorie Foucaults nicht von der der Person und dem Leben Michel Foucaults zu trennen, eine einseitige Konzentration auf das Leben unter Vernachlässigung der Theorie würde ihren anfänglichen Reiz jedoch sicher schnell verlieren.
Der Sammelband Das Spiel der Lüste. Sexualität, Identität und Macht bei Michel Foucault herausgegeben von Marvin Chlada und Marc-Christian Jäger widersteht der kurzfristigen Verlockung und stellt die Theorie Michel Foucaults ins Zentrum des Interesses ohne sein Leben auszublenden.
Eröffnet wird „Das Spiel der Lüste“ von Marc-Christian Jäger mit einer umfassenden und nicht nur für Foucault-Neulinge empfehlenswerten Einführung in Michel Foucaults Machtbegriff. Das Fußnoten-Feuerwerk des Textes – 539 auf 45 Seiten – des Textes irritiert beim Lesen bisweilen, enthält aber für interessierte Leser_innen spannende Verweise und Quellenangaben.
Der darauf folgende Abriss Die Sorge um sich selbst von Anette Schlemm zur Frage der Lebenskunst vor dem Hintergrund der Selbstsorge und der foucaultschen Subjektkonstitution ist dagegen leider etwas dünn geraten, was möglicherweise der Kürze des Textes von knapp 4 Seiten geschuldet ist. In dem nicht ganz leicht zu lesenden Beitrag Lüste des Körpers oder Begehren ohne Organe? beschäftigt sich Marvin Chlada mit Foucaults Kritik des Wunschbegriffs wie er unter anderem von Gilles Deleuze und Félix Guattari formuliert wurde: So wie Foucault die Befreiung von der Macht nicht als das Gegenteil, sondern als integralen Bestandteil der Macht begreife, so geht es ihm nicht darum Wunsch und Begehren zu befreien, sondern darum mit Körpern und die Lüsten zu experimentieren und andere Körper und Lüste zu genießen. Jürgen Mümken fragt in Wer bin ich? – Was bin ich? ausgehend von den Begriffen sexuelle Identität, sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität nach der Bedeutung von Identität und Geschlecht in den Werken von Max Stirner und Michel Foucault und stellt diese einander gegenüber. In Ordnungen des Sexuellen zeichnet Marc-Christian Jäger vor dem Hintergrund von Foucaults Rezeption von de Sade und Georges Bataille Foucaults Unterscheidung von sadistischer Disziplinarmacht und SM-Subkultur nach. Das Spiel der Lüste endet mit dem Text Vom Begehrens-Subjekt zum unternehmerischen Selbst von Andrea D. Bührmann, in dem diese den Weg vom Begehrens-Subjekt hin zu einem neoliberalen unternehmerischen Selbst nachzeichnet. Bührmann betont, dass der von Foucaults Gouvernementalitätsvorlesungen inspirierte Blick der Governmentality-Studies eine ent-naturalisierende und ent-ontologisierende Perspektive auf gegenwärtige Individualisierungsprozesse und Subjektivierungsweisen ermöglicht.
Die von Foucault aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Sexualität, Identität und Macht wird in Das Spiel der Lüste aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet. Dass die darin enthaltenen Aufsätze hinsichtlich Länge, Lesbarkeit, Tiefe und Anspruch sehr heterogen sind, ist sowohl Stärke und Schwäche des Bandes, der sich vor allem gut für einen ersten Einstieg in das Denken Michel Foucaults eignet. Anzumerken bleibt außerdem, dass die eigene Lesepraxis durch den wenig strapazierfähigen Umschlag etwas zu deutlich dokumentiert wird.
Marvin Chlada/Marc-Christian Jäger: Das Spiel der Lüste. Sexualität, Identität und Macht bei Michel Foucault, Alibri Verlag, Aschaffenburg, 2008. 156 Seiten, 16,- Euro. ISBN 3-86569-031-9
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