13 Dezember, 2008

Michel Foucault: Macht und Freiheit

Wenn der Widerstand auch Teil der Macht ist und diese möglicherweise stärkt, ohne dass wir das überhaupt bemerken, wie ist dann überhaupt noch politisch widerständiges Handeln möglich? An dieser Frage hing die Diskussion beim ersten Lesen von „Der Wille zum Wissen“ mit dem Gefühl jeder Schritt würde uns zwangsläufig noch tiefer in die Machtnetze verstricken.
Naja, das erst Lesen und die verzweifelte Erkenntnis liegen jetzt auch schon einige Jahre zurück. Die theoretische Ratlosigkeit und Handlungsunfähigkeit, war sicher nicht ganz unwichtig für das Hinterfragen der eigenen Handlungen.

„Man sollte außerdem beachten, dass es Machtbeziehungen nur in dem Maße geben kann, in dem die Subjekte frei sind. Wenn einer von beiden vollständig der Verfügung des anderen unterstünde und zu dessen Sache geworden wäre, ein Gegenstand, über den dieser schrankenlose und unbegrenzte Gewalt ausüben könnte, dann gäbe es keine Machtbeziehungen. Damit eine Machtbeziehung bestehen kann, bedarf es also auf beiden Seite einer bestimmten Form von Freiheit. Selbst wenn die Machtbeziehung völlig aus dem Gleichgewicht geraten ist, wenn man wirklich sagen kann, dass der eine alle Macht über den anderen besitzt, so lässt sich die Macht über den anderen nur in dem Maße ausüben, in dem diesem noch die Möglichkeit bleibt, sich zu töten, aus dem Fenster zu springen oder den anderen zu töten. Das heißt, dass es in Machtbeziehungen notwendigerweise Möglichkeiten des Widerstands gibt, denn wenn es keine Möglichkeit des Widerstands - gewaltsamer Widerstand, Flucht, List, Strategien, die die Situation umkehren - gäbe, dann gäbe es überhaupt keine Machtbeziehungen. Vor diesem allgemeinen Hintergrund weigere ich mich, die Frage zu beantworten, die man mir manchmal stellt: „Aber wenn die Macht überall ist, dann gibt es keinen Widerstand.“ Ich antworte: Wenn es Machtbeziehugen gibt, die das gesamte soziale Feld durchziehen, dann deshalb, weil es überall Freiheit gibt. Jetzt gibt es in der Tat Herrschaftszustände. In sehr vielen Fällen sind die Machtbeziehungen derart verfestigt, dass sie auf Dauer asymmetrisch sind und der Spielraum der Freiheit äußerst beschränkt ist. [...] In einer solchen Situation der Herrschaft muss man auf all diese Fragen je nach dem Typus und der genauen Form der Herrchaft jeweils auf spezifisch Weise antworten. Die Behauptung jedoch: „Sehen Sie, die Macht ist überall, folglich gibt es keinen Platz für die Freiheit“, scheint mir absolut unangemessen. Mann kann mir nicht die Vorstellung zuschreiben, dass Macht ein Herrschaftssysem darstellt, das alles kontrolliert und keinerlei Raum für Freiheit lässt.“
[Michel Foucault: Die Ethik der Sorge um sich als Praxis der Freiheit, Dits et Ecrits IV]

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